Yoga und Gesundheit

Yoga und Gesundheit – Teil I

(erschienen in iovado – Jan./Feb. 2015)

 

In der öffentlichen Wahrnehmung erscheint Yoga häufig in Begleitung des Themas Gesundheit – in einer Form, die dem Wesen des Yoga leider nicht gerecht wird. So kommen die meisten Menschen das erste Mal aufgrund von Rückenschmerzen oder auf Empfehlung des Arztes mit Yoga in Berührung. 

 

Grundsätzlich ist der Gedanke, dass Yoga gut für die Gesundheit ist, nicht falsch. Yoga ist aber – und da beginnt das Missverständnis – keine Krankengymnastik und keineswegs ein Universalmittel, um eine fragwürdige Lebensführung einmal pro Woche zu korrigieren.

 

Der Begriff Yoga entstammt dem Sankrit, der alten indischen Hochsprache der Priester und Gelehrten. Yuga heißt Joch. Die Älteren unter uns wissen noch, dass ein Joch jenes Balkengeschirr war, dass einem Ochsen auf den Nacken und Rücken gespannt wurde und an dem Geräte für die Feldarbeit befestigt wurden – etwa ein Pflug. Der Bauer konnte so hinter dem Pflug gehen und von dort aus den Ochsen lenken, ihn in die gewollte Marschrichtung zwingen. Das Verb yuj bedeutet anschirren, zusammenbinden, anspannen. Kurz: Yoga ist Gattungsbegriff für all die verschiedenen Techniken, mit Hilfe derer die wesentlichen Ebenen oder Bereiche unserer Existenz unter EINEN Willen gebracht und auf EIN gemeinsames Ziel hin ausgerichtet werden können.

 

B.K.S. Iyengar, genialer Forscher und Lehrer des zeitgenössischen Hatha Yoga, hat in seiner unnachahmlich aphoristischen Art mit wenigen Worten die Funktionsweise des Hatha Yoga beschrieben:

 

Der Körper ist faul, der Geist schwingt, und die Seele leuchtet. Yogische Praktiken entwickeln den Körper zur Ebene des schwingenden Geistes, so dass Körper und Geist, nachdem sie beide in Schwingung geraten sind, zum Licht der Seele hingezogen werden. 

B. K. S. Iyengar

Der Baum des Yoga

 

Es geht im Yoga immer um Gleichgewicht von Körper und Geist, um Integration der Seele und Aussöhnung mit den Umständen, die zur Entfremdung von der Seele geführt haben. Insofern ist der Yogaweg immer auch ein spiritueller Prozess.

 

Wenn Körper, Geist und Seele im Einklang sind, erfährt das Leben Heilung. Abgespaltene Bereiche der Seele werden wieder integriert, die innere Haltung verändert sich, dann auch die äußere. Der Geist entspannt und kommt zur Ruhe. Im Bewegungsapparat entsteht Gleichgewicht. Fehlhaltungen und daraus resultierende Symptome korrigieren sich häufig wie von selbst. Wenn Körper, Geist und Seele im Einklang sind, wird das Leben kraftvoll und reich – an Freude, Liebe und Erfolg. Stress hat keine Chance, wenn der Mensch Selbstwert aus der Weite der Seele erfährt. Und mit dem physiologischen Stress – sogar die Wissenschaft hat das erkannt – verschwinden auch die meisten Krankheiten. Es entsteht Gleichgewicht und Harmonie auf allen Ebenen des Seins. Und das heißt nichts anderes als Gesundheit. Dann ist Gesundheit Resultat von Heilung, von Heil-Werden.

 

Der Weg zur Heilung kann nicht verschrieben werden. Er erfordert eine Entscheidung. Das Leben verändert sich. Heilung, die den Menschen in seiner Gesamtheit erfasst, ist grundverschieden vom Ansatz der Symptombehandlung, wie Medizin und Pharmazie ihn (nicht ohne Berechtigung) praktizieren. Das Missverständnis gründet in der Verwechslung von Heilung und Symptombehandlung. Unser „Gesundheits“-System macht es leicht, sich zur Vollkasko-Mentalität verführen zu lassen. Gesundheit auf Rezept, durch monatliche Zwangszahlungen finanziert. Gern lassen wir uns verleiten, die Verantwortung für unser eigenes Heil-Sein dem pharmazeutisch-medizinischen Komplex zu übertragen. Das sind die Profis, die werden die Lösung für das Problem schon wissen, nicht wahr?

 

Weg zur Heilung

 

Besonders verlockend daran ist, dass Gesundung gekauft und konsumiert werden kann – ohne irgendwelche Konsequenzen für Lebensstil und Gewohnheiten. Echte Heilung braucht Selbstverantwortung. Wir müssen lernen, der inneren Stimme zu vertrauen und Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für uns selbst, aber für uns selbst zuerst.

Yoga und Gesundheit – Teil II – Yogatherapie

(erschienen in iovado – Mär./Apr. 2015)

 

Yoga hat in den vergangenen Jahrzehnten weltweit rasante Verbreitung erfahren – Dank der unermüdlichen Arbeit eines Mannes: B. K. S. Iyengar. Sein Name ist bereits mit der Erforschung des traditionellen Yoga und seinen Verdiensten um einen auch für westliche Menschen kompatiblen Zugang zum Yoga unauslöschlich verknüpft. Weniger bekannt sind noch seine bahnbrechenden Erfolge in der therapeutischen Arbeit mit erkrankten und beeinträchtigten Menschen.

 

Iyengar selbst litt in Kindheit und Jugend an Malaria, Typhus und Tuberkulose. Die Familie konnte sich eine ausreichende medizinische Versorgung nicht leisten. Iyengar erfuhr Heilung in Folge seiner tiefen Hingabe an den Weg des Yoga. Die Erfahrung der selbst erlebten Wirkung des Yoga auf die inneren körperlich-geistigen und emotionalen Prozesse war die Grundlage seiner einzigartig tiefen Erforschung der Asanas (Körperhaltungen) und der Pranayamas (Atemtechniken). Auf diesem Fundament entstand in den vergangenen Jahrzehnten mit internationaler Unterstützung durch zahlreiche Mediziner die IYENGAR® Yogatherapie.

 

Yoga ist ein energetisches System. Die Praxis von Asanas bringt das Energiesystem des Körpers ins Gleichgewicht. Der erkrankte Mensch braucht eine besondere Strategie, um das verlorene Gleichgewicht wieder zu erlangen. Mit dem Klienten wird eine Sequenz von Asanas entwickelt, die in ihrer Abfolge den Energiefluss punktgenau in die gewünschte Richtung lenken. Den spezifischen Erfordernissen des Klienten entsprechend kommen die von Iyengar entwickelten Props (Hilfsmittel) zum Einsatz – rutschfeste Matten, Gurte, Wandseile, Kissen (Bolster), Blöcke aus Holz in vielfältiger Größe und Form, Bandagen, Gewichte und vieles mehr. Props überbrücken Distanzen, stützen, schützen oder fixieren, vermitteln einen Eindruck an entscheidender Stelle. In der Therapie ermöglichen sie dem Klienten, völlig entspannt für mehrere Minuten in einer genau eingerichteten Haltung zu verbleiben und den Strom seiner eigenen Lebenskraft bewusst zu erleben.

 

So werden die Bereiche des Körpers, in denen sich der Verlust des Gleichgewichts (die Erkrankung) manifestiert hat, gezielt aktiviert oder sediert. Der Klient macht die Erfahrung, dass aus ihm selbst – allein aufgrund seiner äußeren Haltung – eine neue energetische Struktur entstehen kann, die ihm eine (vielleicht nie zuvor erfahrene) innere Balance schenkt. Er erlebt, dass er selbst Schöpfer und in ihm die Quelle neuer Möglichkeiten für sein Leben ist. Er erlebt Entspannung, die weit über die Wirkung von Sauna oder Workout im Sport hinausgeht, die aus seiner eigenen Tiefe entspringt – Entspannung, die sich physiologisch stressreduzierend manifestiert und die Basis für tiefgreifende Heilung sein kann.

 

Die nationalen IYENGAR® Yoga Verbände wachen darüber, dass nur hochqualifizierte und in jahrelanger Assistenz bei Senior-Lehrern erfahrene Lehrer in der IYENGAR® Yogatherapie tätig werden.

 

Yoga wird häufig als eine Art Sport mit gewissen Lifestyle-Attributen angesehen. Tatsächlich ist Yoga ist die weltweit älteste (bekannte) Wissenschaft vom Menschen – mit Wurzeln, die mindestens 7.000 Jahre weit zurückreichen in die Ursprünge des kashmirischen Shivaismus. Die ältesten bekannten Zeugnisse – kleine Lehmfiguren, die vermutlich Schamanen in Asanas ähnlichen Haltungen zeigen – sind sibirischen Ursprungs und wahrscheinlich vor ca. 12.000 Jahren gefertigt worden. Yoga ist ein riesiger Komplex Jahrtausende alten Wissens mit heute hunderten verschiedenen Disziplinen. Und: Yoga kann zum Bestandteil des Lebens werden, wenn man einmal die Erfahrung seiner Wirkungen gemacht hat – ausgleichend und dadurch aus der Tiefe entspannend – und schließlich befreiend.